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FELIX BRAUN - TEXT (1)



DER STERNENSCHIFFER (Textauszug) 
aus Laterna Magica, Erzählungen, Amandus, 1957

(...) Der alte Mann hieß "der Sternenschiffer" bei den anderen, wiewohl sein wirklicher Name im Kirchenbuch anders lautete. Als Knabe schon empfand er diese Liebe, so daß er keinen Abend kommen ließ, ohne zum Himmel aufzuschauen. Die Leute meinten, er habe kein Weib genommen, weil er die Sternenjungfrau liebe, die in goldenen Gewändern allnächtlich über den Himmel schreite (..)

Manchmal gesellte sich der Pfarrfischer zu ihm, und dann sprachen sie von den Sternen. Der Pfarrfischer meinte, sie wären im Garten des Paradieses, die goldenen Früchte der blauen und weißen Bäume, und wenn sie so zitterten, so geschähe es, weil der himmlische Wind sie bewege. Aber manche fielen dennoch ab und sänken ins Meer, gegen Hesperien zu. Dann erhöben sich Hände aus den Wassern und fingen sie auf, und oft habe er Gelächter gehört von Seemädchen, wenn er manchmal des Nachts einsam am Strande gehe.

Der Sternenschiffer hörte zu und merkte sich alles. Aber das Paradies dachte er sich wohl anders: Da müssten Ölbäume sein mit silbernen Blättern, Zypressen, Feigen- und Orangenbäume. Ob die Sterne wohl Orangen wären oder Zitronenfrüchte?

Dazu wären sie zu klein, meinte der Pfarrfischer. Eher goldene Kirschen. Sie könnten auch Blumen sein. Gewiß: Blumen im blauen Grase.

Der Sternenschiffer fand auch dies gut, doch wußte er, daß der Pfarrfischer um nichts mehr kundig der Weltdinge war als er selbst. Und dann dachte er stets, daß alles immer irgendwie anders sein müsse. Gerne hätte er einen gelehrten Mann gefragt. Allein die Jahre vergingen, ohne daß einer kam, und wenn ein Schiffer von den Nachbarinseln einmal landete, so wußte der auch nicht mehr, als daß ein Stern nach Norden weist.

Eines Tages erschien ein junger Mann auf der Insel, städtisch gekleidet, eine grüne Büchse umgehängt, eine Brille auf der Nase, mit wehendem, blondem Haar. Er fragte die Fischer nach einem Wirtshaus, aber es gab keines, darin man auch hätte wohnen können. So wiesen ihn die Leute an den Sternenschiffer. Dieser räumte dem jungen deutschen Studenten gern seine gute Stube ein, er selbst schlief in der Nebenkammer, doch zumeist, da nun die Nächte warm wurden und vom süßen Duft der Zitronenblüte erfüllt, lag er am Strande unter dem Sternenhimmel.

Der Student hatte eine Arbeit über die Fora des Quarnero zu verfassen, um Doktor der Philosophie und dann Lehrer der Naturwissenschaft an einer Mittelschule zu werden. Den ganzen Tag über ging er umher, pflückte Blumen, grub sie aus, betrachtete sie, legte sie in seine grüne Büchse oder preßte sie in dem großen Herbarium, das er stets mit sich trug, setzte sich dann auf einen Stein, nahm jedes einzelne Stück wieder hervor, prüfte, zerschnitt, zerlegte und verbrachte wahrhaftig mit diesem Tun die lange Zeit bis zum Abend. Dann setzte er sich oft neben den alten Schiffer auf die Bank, sie schwiegen zusammen oder sprachen ein paar Worte, wie milde und schön doch der Abend sei. Der alte Mann sah zu den Sternen auf, der junge blickte aufs Meer und dachte bald an ein Mädchen, das ferne wohnte und ihm gut, aber vielleicht nicht mehr treu war, bald an seine Mutter und seine Freunde oder seinen Lehrer und was einem eben durch den Kopf geht, wenn man so aufs Meer hinausschaut.

Eines Abends saßen sie wieder beisammen, die Sterne funkelten so tief, das Meer rauschte dröhnend, einige Segel standen noch draußen, und längs der Hafenbucht waren schon Lichter entfacht. Nun ging das Licht auf dem Götterhaupte mit starkem Schein auf. Da faßte sich der alte Schiffer ein Herz und fragte seinen Gastfreund: "Ihr wißt viel von den Bäumen und Blumen, Herr?"

"Nun", erwiderte dieser lachend, "mein Hofrat weiß schon ein wenig mehr als ich." Dies hatte er deutsch gesagt. Der Alte sah ihn erstaunt an, so daß er gleich italienisch fortsetzte: "O ja, etwas weiß ich schon auch."

Der Sternenschiffer nickte befriedigt. "Gut, dann wißt Ihr ja, ob die Sterne da oben Blumen sind oder nicht."

"Jawohl", sagte der Student und lachte: "Das sind ganz und gar keine Blumen. Oder meint Ihr, ich könnte mir eine Blume ins Knopfloch stecken, die größer ist als die ganze Erde?"

"Größer als die ganze Erde?" Dem Schiffer blieb vor Staunen der Mund offen. "Ach, ich weiß schon, Ihr haltet mich zum besten." Und nun war es an ihm, zu lachen.

Wie noch niemals leuchtete das Siebengestirn stark und klar. Sein Wagen stand so tief über dem Meere, daß es schien, jeden Augenblick müßte der Gott emportauchen, ihn besteigen und über den Himmel fahren......(....)

 

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