HANS PRAGER - BIOGRAPHIE
 
(12.9.1887 - 4.12.1940)

österr. Schriftsteller, Essayist, Kritiker,
Kulturphilosoph, Shakespeare-
und Dostojewski-Forscher, Literaturwissenschaftler

 

(dieser Text ist urheberrechtlich geschützt)
 

Hans Prager wurde am 12.9.1887 als Sohn von Leopold und Emma Prager (geb. Finaly) in Wien geboren und hatte 11 Geschwister. Mit 16 Jahren trat er aus der jüdischen Gemeinde aus und konvertierte 1905 zum evangelischen Glauben. Als Schüler von Oskar Ewald begann er an der Universität Wien seine Studien, die er an der Hochschule in Zürich fortsetzte, und promovierte am 6.7.1912 an der Universität in Wien. Schon mit 19 Jahren war er Referent und Kritiker für literarische Neuerscheinungen bei der Frankfurter Zeitung, ein Jahr später hielt er als vorzüglicher Rhetoriker gut besuchte Vorträge in wissenschaftlichen Kreisen.

Um die Jahrhundertwende hatte sich um Otto Weininger eine Art Schule gebildet, der Oskar Ewald, Emil Lucka, Eugen Antoine, Victor Krafft und später auch Hans Prager u. a. angehörten. Hans Prager wurde Mitarbeiter der großen philosophischen Zeitschriften in Deutschland und in der Schweiz und trat so in engste Fühlung mit den Professoren Vaihinger, Natorp, Liebert, Wundt, Siegel, Jodl, Ragaz, Goldscheid und vielen anderen. Durch ein Kolleg Laurenz Müllners über Dostojewski angeregt, begann sich Hans Prager für diesen russischen Dichter zu interessieren und schrieb eine Abhandlung über Raskolnikow.

Mitten in den Vorbereitungen für eine Habilitationsschrift wurde Prager militärisch angefordert, machte den Ersten Weltkrieg bis 1916 mit und kehrte krank nach Wien zurück. Hier heiratete er am 29.3.1917 Käthe (Katharina) Maria Braun, (später Käthe Braun-Prager – Schriftstellerin, Malerin), einige Jahre später wird Tochter Ulrike geboren. Von 1920–1937 hielt Hans Prager Vorträge über philosophische Themen an der Volkshochschule in Wien und im Rundfunk u.a. und es erschienen Aufsätze in verschiedenen Zeitungen.

1925 erschien Pragers wichtigstes Werk Die Weltanschauung Dostojewskis, das auch ins Russische übersetzt wurde und mit einem Vorwort von StefanZweig versehen ist. Zweig schreibt in seiner Einleitung: "(...) Ein Wegweiser in diese nie voll zu erforschende, weil unendliche Welt Dostojewskis will Hans Pragers Buch sein (...) und es gibt eine verläßliche Zeichnung der philosophischen Tektonik, der geistigen und religiösen Gedankengänge (...)".

Der Verleger dieses Werkes hat 49 Pressestimmen von in- und ausländischen Zeitungen in einem Heft zusammengefasst. Von Thomas Mann ist in der Frankfurter Zeitung zu lesen: "Ein bedeutsames neues Buch über den russischen Apokalyptiker liegt vor: Die Weltanschauung Dostojewskis von Dr. Hans Prager, das Einsichtigste wohl, was seit Mereschkowski über den gewaltigen Gegenstand geschrieben worden ist". Und Emil Lucka schreibt in Die Literatur (Stuttgart): "Es ist erstaunlich mit welcher denkerischen Energie Prager die vier großen Romane durchanalysiert, wie er … einen neuen Organismus formt, der uns schließlich als 'Weltanschauung' Dostojewskis einleuchtet. Dem sonderbar fanatischen Buch bleibt eine ehrenvolle Stelle in der wachsenden Dostojewski-Literatur gesichert." Auch Felix Braun äußert sich in einem großen Essay über dieses Werk: "(…) und so mag, wer dieses Buch in sich verarbeitet hat, wohl sagen dürfen, daß ihm nunmehr Dostojewski inne sei, daß er ihn 'verstanden' habe."

1925 erscheinen von Hans Prager auch die Broschüre Wladimir Solovjeff’s Universalistische Lebensphilosophie sowie ein Buch über Gandhi, das er Das Indische Apostolat nennt und seinen Schwiegereltern widmet. Dazu äußert sich der Schriftsteller Otto Heuschele: "(..) Die Wirrnis und Verlorenheit unserer europäischen Gegenwart im Ethischen und Religiösen tut sich in wundervoller Klarheit vor uns auf, und Prager erkennt mit scharfem Auge, wo Gandhis Heilslehre uns erlösen kann. Das Erscheinen dieses Menschen bedeutet ihm einen welthistorischen Augenblick."

Daneben entstanden viele Essays wie z. B. "Der Weltangstschrei", der besonders beeindruckend ist, da er sich mit dem Tierleid  auseinandersetzt, was zur damaligen Zeit nicht unbedingt ein herausragendes Thema war. Prager ist erschüttert, dass man dem Menschenaffen im Zoo – dem sein Weibchen gestorben ist – alles nahm, was er einst besessen, also  "die Freiheit, die Verbindung mit seinem Stamm und endlich die Familie". Auch mit anderen Themen hat er sich eingehend beschäftigt, interessehalber seien hier einige Titel angeführt: Der gestohlene Tod, Die Gläserne Welt, Der misshandelte Alltag, Philosophie des Lärmes oder Vom tragischen Optimismus. Da er sich auch intensiv mit Politik befaßt hat, erschienen von ihm in der Presse einige Vorschläge wie z. B. Eine Volkshochschule für Politik – Ein Vorschlag (1927) oder Vorschlag zur Gründung eines internationalen Presse-Gerichtshofes.

Beim Wiederlesen von Hamlet  wurde Hans Prager Shakespeare neu offenbart. Er schrieb vorerst über diese Tragödie, dann aber, beim Studieren des Gesamtwerkes, erschloss sich ihm ein neues Weltbild des Dichters. Am meisten schätzte er den Sturm, dieses Drama benannte er Musik der Menschlichkeit.

Über einen Brief von Hugo von Hofmannsthal an Felix Braun, den er noch eine Woche vor seinem jähen Tod geschrieben hatte, freute sich Hans Prager besonders. Darin heißt es:
".... Noch eine andere Annäherung habe ich erfahren, die mir wertvoll war. Ihr Schwager Dr. Hans Prager hat mir eine gedankentiefe Arbeit über den König Lear zugeschickt. Es ist wunderbar, wie diese höchsten Kunstwerke als Wesenheiten einer höheren Ordnung immer in jedem Zeitalter neue Verbindungen mit dem Menschengeist eingehen, denn das, was bei der Betrachtung dieses Hauptwerks erblickt und ausgesprochen wurde, hätte in irgend einem früheren Zeitalter auch von einem sehr gedankentiefen Menschen nicht ausgesprochen werden können. Die Begriffe des Fernen und des Nahen, wie sie hier in einer neuen und vieles sagenden Weise gebraucht sind, habe ich mir zu eigen gemacht und bin durch diese gewaltigen Begriffe und durch den Geist der ganzen Arbeit sehr bereichert worden. Bitte sagen Sie Ihrem Schwager Dank dafür, daß er mir die Auszeichnung erwiesen hat, mich mit dieser Arbeit bekannt zu machen."

Sigmund Freud allerdings konnte mit diesem Aufsatz nicht so viel anfangen und schreibt am 13.6.1939:
"Sehr geehrter Herr Doktor, ich danke Ihnen sehr für die Zusendung Ihrer Studie über Lear, die mich sehr interessieren mußte, obwohl eine eigene kleine Arbeit von mir nicht das Schauspiel Shakespeares, sondern bloß eine Seite des ihm zugrunde liegenden Stoffes behandelt. Ich habe starke Abneigungen gegen die Versuche, poetische Schöpfungen als gewollte symbolische Verhüllungen abstrakter Ideen zu verstehen. Im Falle des Lear scheint mir Ihre Erklärung auf eine besondere Erschwerung zu stoßen. Was sind das für Familien, in denen das Element Weib-Mutter fehlt, was läßt sich an ihnen für die Familie allgemein Giltiges erweisen. Kaum etwas anderes, als daß dem [sic] Vater allein mit Söhnen und Töchtern nicht fertig wird, daß die Mutter notwendig dazu gehört und diese tiefsinnige Weisheit werden Sie wahrscheinlich ebensowenig wie ich für den Kern der Tragödie ausgeben wollen. Verzeihen Sie, wenn ich Sie mißverstanden haben sollte. Irgendwie sind wir in unserer Einstellung zu Werken der Dichtkunst weit auseinander. Hochachtungsvoll ergebenst Freud."

Hans Prager war Freimaurer (Loge Fortschritt in Wien lt.Wolfgang Woelk), Verfasser philosophischer und sozial-politischer Schriften und aktiver Vorkämpfer der Friedensidee in Österreich sowie auch Herausgeber der Zeitschrift Menschenrechte des Organs der österreichischen Liga für Menschenrechte.

1938 emigrierte Hans Prager zu seiner Tochter nach Paris, die bereits dorthin geflüchtet war. Kurz vorher hatte er sich noch im Krankenhaus der jüdischen Gemeinde Wien die Schilddrüse operieren lassen, da er die Emigration nicht mit einem Leiden beginnen wollte. Allerdings ist einem bekannten Chirurgen, nervös geworden durch die zahllosen Schwerverletzten der Pogrome, die Operation mißglückt, so daß die Folgen für ihn schlimmer waren als das Übel selbst.

Hans Prager ist an Hitler und seinen Helfershelfern zerbrochen. Der Aufenthalt in verschiedenen Internierungslagern in Frankreich, die Sorge um die Familie, Angst vor Verfolgung sowie die mißglückte Operation waren zu viel für ihn. Nach einer abenteuerlichen Flucht aus dem Lager in Audierne am 20.6.1940 (lt. Soma Morgenstern "Flucht in Frankreich) verstarb er einige Monate später am 4. Dezember im Rothschild-Krankenhaus in Paris.

 

 

 

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