Solovjeff's
Universalistische Lebensphilosophie

von Dr. Hans Prager, Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen, 1925, 48 Seiten
(Textauszug - Seite 7)

(...) Universalistisch ist nicht bloß eine Philosophie, die über das Leben sinnt, sondern auch dieses selbst als unbesiegbare Wahrheit. Das Leben schafft sich in einer Unzahl seiner Formen geschlossene Gebilde, die immer wieder den Sieg über alle Loslösungsbestrebungen einzelner Kräfte, über ihren hartnäckig erstrebtenTriumph der Einzelheit davontragen. Familien, Religionsgemeinschaften und Nationen erwachsen zu einheitlichen Körpern, die sich in ihrer Art trotz aller inneren Zerteilungsbestrebungen erhalten wollen .Immer hat der Geschichte ein vollkommenes zu verwirklichendes Ideal von Gemeinschaft als Ziel vorgeschwebt, das Ideal der Bruderschaft, in der sich am Ende der Zeit alle ins Leben getretenen Brüderschaften vereinigen werden. Von da weist sich der Weg des Menschen, der die Aufgabe hat, immer wieder die aller dauernden Teilung widerstrebende alleinheitliche Gottheit in seinem Leben zu verwirklichen, die unzähligen menschlichen Einheitsströme in das eine Bett der ganzen, zu einem Körper verschmolzenen Menschheit zu leiten. Alle Bindungen, welche trotz ihres hoch entwickelten Zieles in sich selber verharren und sich so wieder von den höheren und höchsten Formen des Universums loslösen, verlieren damit ihre wesenhafte Bedeutung: Familien, die nur dies sind, Staaten, die auf nationalem Egoismus beruhen, Konfessionen, die sich starr gegen andere stellen, verfallen damit dem Triumph der Einzelheit, wiewohl sie ihn scheinbar überwunden haben. In unzähligen konzentrischen Kreisen entwickelt sich das Dasein, das einen Mittelpunkt für alle diese Kreise hat. Jeder nun weist auf den umfassenderen hin; der letzte aber, einer mit unendlichem Radius und unendlichem Umfang, ist schon kein Kreis mehr, sondern das Universum selbst, unfaßbar als Gedanke, unschaubar als Vision. Auch der Einzelmensch ist so ein Kreis und er weist wieder auf die Gemeinschaft hin, die ohne ihn nichts wäre. Wachsen, reifen, sich erfüllen, sich vervollkommnen, das ist der Weg des Lebens: was stirbt, das wächst unsichtbar weiter, was abstirbt und verdorrt, das schrumpft zu einem imaginären Punkt ein, der nicht Linie, nicht Fläche, nicht Kreis, nicht Raum ist; er ist wesenlos. "Der absolute und positive Universalismus" - sagt Solovjeff - "muß die Fülle und Vollkommenheit des persönlichen und des Gemeinschaftslebens zum Ausdrucke bringen. Das ist das wahre Christentum..." Dieses (nicht das kirchlich und historisch festgelegte) ist für Solovjeff die einzige Weltanschauung, die den Forderungen des Universalismus genügt; große Arbeit verwendet er auf den Erweis, daß andere, außerchristliche Systeme, wie die Griechenlands, Indiens usw. dieses Ideal nicht erfüllen. (.....) 


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