DIE TROIKA -

über die drei Philosophen Nietzsche, Hegel, Schopenhauer

(handschriftlicher Originaltext mit eigenh. Korrekturen
von HANS PRAGER aus dem Jahr 1935)

Anmerkung:  

Dieser Text wurde vom handschriftlichen Originaltext von Hans Prager, der auch seine Korrekturen beinhaltet, im Jahr 2010 von der Enkelin Tatjana Madeleine Popovic´, Berlin, transkribiert. Einzelne Wörter, die man nicht entziffern konnte, wurden mit dem Zeichen (?) versehen. Es gibt noch eine maschinenschriftliche und ziemlich verfälschte Version in der Nationalbibliothek, Wien, die wahrscheinlich von Käthe Braun-Prager stammt.  

 

Text:

DIE TROIKA - über die drei Philosophen, Nietzsche, Hegel, Schopenhauer 

Die Troika ist das russische Gespann mit den drei Pferden, von denen das mittlere im Joch läuft. – Der Zufall, daß die drei großen deutschen Denker, über die wir hier sprechen wollen, in diesem Spätsommer in nächster Nähe von einander Gedenktage haben, nämlich Friedrich Nietzsche seinen 35. Todestag am 25. August, Georg Wilhelm Friedrich Hegel den 165. Geburtstag am 27. August und Artur Schopenhauer den 75. Todestag am 21. September. Dieser äußerliche Zufall soll uns gewiß nicht veranlassen, die drei Philosophen nur deshalb mit einer Troika zu vergleichen, weil drei gleich drei ist, sondern: Bei näherer Überschau dessen, was sie lehren, mag sich ergeben, daß ihre innere geistige Zusammengehörigkeit eine große ist und daß jeder, so eigenartig er auch ist, zu jedem gehört. Sie sind – wie sich zeigen wird – drei edlen Pferden vergleichbar, die in leidenschaftlicher Bewegung in die Welt stürmen, um ihr ihren Sinn, ihr innerstes Geheimnis abzuringen. Sie ziehen gemeinsam den Wagen, den sie mit Erkenntnissen beladen wollen, durch die Landschaft menschlicher Seele, und der, der sie lenkt, ist der Geist mit dem ruhelosen Blick in die Ferne: Nietzsches Geist, der emporschaut, Hegels mit dem Blick in die Weite, Schopenhauers Geist, der in die Untergründe des Lebens sieht. Alle drei haben große Strömungen in der Kultur hervorgerufen, die heute in der ernstesten Weise wirksam und zeitgemäß sind.

Friedrich Nietzsche ist wohl der leidenschaftlichste, der bewegungshungrigste, der rastloseste dieser drei Weltanschauungsmeister. Er stürmt mit seinen Gedanken so jäh durch die Seele, daß er in der Jagd nach dem Sinn der Persönlichkeit den Menschen nicht eine Sekunde lang ruhen lassen will. Ihm ist das Leben der Güter höchstes und die Natur ein großartiges Beispiel dessen, was der Mensch - als vergeistigte und mit Willen begabte Naturgewalt - aus sich selbst machen kann, wenn er nur will. Immer empor soll sich der Mensch steigern, immer mehr hinauf zu seinen größten Kräften, zu seiner Macht über sich, über die anderen, über die Dinge, ja über sich selbst hinaus, bis er – ein neuer Prometheus im Laufe und am Ende der Zeiten – zum Übermenschen, zum souveränen Geist- und Willensmenschen geworden ist, der sich selbst die Gesetze gibt, aller Vorurteile ledig, sich freigemacht hat von allen Bindungen, die ihn bisher gefesselt haben; so lehrt es Zarathustra, Nietzsches Mund, aus dem – hörbar für jene, denen die Einkerkerung ihrer Individualität Qual ist – aufpeitschende und aufrührerische Worte zu den Menschen in den Niederungen kommen. Für Nietzsche liegt der Sinn des Daseins im Menschen und nur in ihm, denn ihm ist es gegeben, zu herrschen über die Natur, über die Geschichte, über das Leben. Er kann Götter schaffen und sie vom Throne stürzen, er kann sich selbst zum Gott machen, denn er trägt das Geist und Wille und persönliche Kraft gewordene Leben in sich, das nichts ist ohne ihn.

Gewaltig einsam macht Nietzsche den prometheischen Menschen in Raum und Zeit, er entbindet ihn jedes sozialen Zwanges, jeder Fesselung, jeder demütigen Hingegebenheit an überirdische Mächte. Nietzsche steigert die Lust an der Lebensbejahung zum ersten und obersten Gebot des neuen Menschen, den er schaffen will; Staat, Gemeinschaft, Religion bedeuten dem Übermenschen nichts in seiner frei gewählten Einsamkeit. Im geistigen und willensgeformten Individualismus liegt der Sinn des Daseins, den der Mensch dem Leben gibt. Deshalb ist die bisherige Entwicklung unserer Kultur nach seiner Lehre ein großer Irrtum: die alten Tafeln müssen zerbrochen werden. Das ist eine der Hauptlehren dieser Philosophie.

Zur Lehre vom Übermenschen gesellt sich nun bei Nietzsche eine zweite, für seine Philosophie ebenfalls sehr bedeutungsvolle Anschauung, von der er annahm, daß sie neu sei, während sie uralten Ursprunges ist, nämlich der Glaube an die „Ewige Wiederkehr des Gleichen.“ Die Weltzeitläufe rollen ab, bis sie jeweils ihr Ende erreichen; dann aber wiederholt sich immer wieder das Gleiche genau in der selben Art, in der es schon war und wenn dies unendlich oft geschehen müßte. Ist es nun nicht sonderbar, daß ein Denker, der den Menschen in die Himmel stürmen läßt, die gottgleich gewordenen Übermenschen an das grauenhaft endlos rollende Rad ewig sich in gleicher Art mechanisch wiederholenden Geschehens flicht? Warum hat Nietzsche diese zweite große Idee an die erste geknüpft? Weil auch der Übermensch, dieser souveräne Gesetzgeber seiner selbst, im Tiefsten den Glauben an eine höchste Macht braucht, die ihn fesselt, weil sich Prometheus in seinem abgründigen Schmerz um das Leben, der mit seiner höchsten Lebenslust zusammenfällt, wieder sehnt, an die Felsen des Schicksals geschmiedet zu werden, weil der Gedanke an die grenzenlose Freiheit den Menschen wahnsinnig machen würde, wenn er ihn nicht an die letzte Unfreiheit ketten könnte.

Beides ist aber fürchterlich: zu wissen, daß man werden und tun könne, was man will, und zu wissen, daß man ewig immer wieder das werden und tun werde müssen, was beschlossen ist. Aus dieser Metaphysik, die gleichsam für den Übermenschen ein Religionsersatz ist, geht hervor, daß der grenzenlose Individualismus, der den Menschen nicht bloß für ein Leben, sondern für unendliche Leben einsam macht, etwas Dämonisches ist, das wieder nur mit einem dämonischen Weltgedanken sich verbinden kann. Vielleicht erträgt der Übermensch die Idee der „Ewigen Wiederkehr alles Gleichen“, vielleicht ist diese Idee für ihn, für die Kraft seines Geistes eine gewaltige Probe? Mag sein: aber die Loslösung des Menschen aus der Gemeinsamkeit alles Lebendigen, die von der Natur bezeugt wird, ist ja doch eine Sünde wider das Leben, und diese Lebenssünden machen, daß die davon Betroffenen den Dämonen verfallen – und die Weltanschauung der Dämonen, die dämonische Philosophie, ist durch die Ausweg- und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet, die in ihr wuchern. Der Nietzscheanismus will uns Kraft geben, aber er verwandelt diese Gabe in ein Gift.

Vieles in dieser Zeit, die wir jetzt durchleben, ist Nietzsches Werk, eines Nietzsche, den man überdies zum allergrößten Teile mißverstanden hat. In den Exzessen, die sich jetzt, so oft der Einzelne leistet, wenn er sich als begnadeter Sohn der Macht fühlt, liegt grober Nietzscheanismus darin und das Nichtwissen davon, daß Nietzsche vor allem die Macht im geistigen und nicht im physischen Sinne dachte. Und auch das wird nicht erkannt: daß auch der Übermensch eine Moral hat, eine sehr edle sogar, nämlich die Ethik der Ritterlichkeit, der Noblesse, der Güte aus Kraft, des Respektes vor dem Gegner! Nietzsche, der in des Menschen Seele Alles hineinlegte, was die Welt an Sinn bietet, gab auch dem Übermenschen die große Pflicht: Menschentum niemals gering zu achten, denn das Menschentum ist es, in dem der Sinn des Lebens liegt. Diese Sittlichkeit wirkt versöhnend: sie zeigt, daß man, denkt man nur an sich selbst, deshalb keineswegs das Grauen, das der hemmungslos aufwärtsstrebende Geist mitschleppt, in die Grausamkeit verwandeln muß, die die Seelen in die Niederungen untermenschlichen, untergründigen Seins hinabstößt. Der wahre Nietzscheanismus, der das Leben bejaht, macht den Menschen unglücklich, aber nicht unmenschlich.

 Nietzsches Antipode, vor ihm lebend und wirkend, ist Hegel. Gibt Nietzsche alle Macht dem Einzelnen, so verleiht sie Hegel dem Staate, den er zum absoluten Herrn des Individuums macht. „Allen Wert, den der Mensch hat, alle geistige Wirklichkeit hat er allein durch den Staat.“ Hier zeigt sich schon der unüberbrückbare, klassische Gegensatz in den Anschauungen dieser beiden Philosophen, der aber noch weiter geht. Nietzsche gibt auf die Vernunft als solche wenig, denn der Mensch ist ihm vor allem Geistwesen und zum Geist gehört mehr als Intellekt, eigentlich etwas anderes, nämlich die Fähigkeit des Schöpfens aus den Ahnungen, den Intuitionen, die gerade nicht ein im landläufigen Sinne gescheiter Mensch haben muß. Nietzsche ist also kein Rationalist, der die Ratio, die Vernunft, als Quelle aller Weltbetrachtung hinstellt. Hegel dagegen macht die Vernunft zum Grund des Daseins; sie allein existiert immer und wahrhaft, sie fällt mit der Wirklichkeit zusammen, denn nach seinem berühmten Ausspruch „ist das, was ist, auch vernünftig.“ Diese Vernunft ist aber nicht die Vernunft des Einzelnen, denn keiner kann sie als sein Eigentum betrachten, sei er auch noch so sehr vernünftig, sondern sie ist die Weltvernunft, die einfach da ist, wie die Wirklichkeit da ist, in der wir leben. Diese Vernunft denkt in uns und der eine weiß mehr von ihr, der andere weniger. Es ist aber auch gleichgültig, was der Einzelne von dieser Vernunft in sich hat, denn sie geht durch die Zeiten, durch das Menschengeschlecht hindurch ihren eigenen gewaltigen Weg, sie ist die eigentliche Entwicklungskraft des Lebens und sie macht, daß das Dasein zu einem Werden, zu einem Entwicklungsprozeß wird. Die Welt mit den Menschen darin muß Stufen durchwandern – so fordert es das Gesetz der Weltvernunft – und jede Phase muß bis zu ihrer äußersten Grenze durchschritten werden. Dann wird sie abgelöst, nachdem sie in ihrer Einseitigkeit zusammengebrochen ist und es kommt dann die Gegenphase, wie die Willkür zum Gesetz führt. So entzweit sich also die Vernunft, zerlegt sich in Teile, die einander entgegenstehen, einander ablösen, bis eine höhere Einheit entsteht, in der die früheren Einseitigkeiten zu Ende sind. Die Welt bewegt sich somit in drei Takten von großer Länge: Stoß und Gegenstoß der Dinge erzeugen dann den Zusammenstoß beider in einen Zustand, wo die ursprünglich friedlos gewesene Vernunft nun gleichsam den Weg zu sich selbst, zu ihrer eigenen Ausbildung und Vollendung gefunden hat. Dies aber ist gleichzeitig der Weg der Geschichte; das Menschengeschlecht lebt zuerst im Naturzustande, entwickelt sich daraus, schafft Formen des Zusammenlebens, die gegen die nur naturhafte Lebensweise gerichtet sind, um dann – so fordert es die Vernunft als Ziel – den wahrhaft vernünftigen Staat aufzubauen. Dieser wahre Staat hat auch die wahre Sittlichkeit in sich, und in ihm lebt der vernünftige Weltgeist, der erlöst ist von den spannungsvollen Kräften, die ihn durch die Geschichte getrieben haben. Es ist der Weltgeist, der in diesem Staate arbeitet, und der Einzelne ist das Werkzeug des Weltgeistes, der gleichzeitig das Weltgericht ist. Um dessen Thron stehen wir als vernünftige Menschen, sozusagen als Zeugen seiner Herrlichkeit. Ein Nietzscheanismus hat in diesem System keinen Platz.

Kalt ist die Weltvernunft, abstrakt, abgezogen vom blutumspülten, pulsierenden Herz, eine eisige Idee mit ungeheurer realer Macht. Sogar der Übermensch Nietzsches, der wahrlich kein weiches, empfindsames Herz hat, muss erschaudern, wenn er sich als Zeugen der Herrlichkeit des Hegelschen Welt-, Staats- und Geschichtsgeistes aufgerufen sehen könnte. Das ist nicht das Leben selbst, das durch den heißen Willen des Menschen geformt wird zum Objekt seiner Macht, das ist ein Gespenst, welches mit knöchernen Händen an das Herz greift, es erkaltend. Großartig ist Hegels Konzeption; wie er die Geschichte bewegt, wie er weiß, daß jeder historische Gedanke bis zu seiner letzten unüberschreitbaren Einseitigkeit hin will, bis sie zusammenbricht; wie er vom stärksten, vernünftigsten Optimismus erfüllt, die Gemeinschaft der Menschen als Verwirklichung der Offenbarung des Weltgeistes vor unserem inneren Blick erstehen läßt -  wahrlich eine Philosophie, von der man begreift, daß sie Jahrzehnte in der Welt uneingeschränkt herrschte und daß sie in der Gestalt starker sozialer Bewegungen, die heute noch lange nicht ihr Ende erreicht haben, in die Weltgeschichte eingriff. Merkwürdig ist es und doch tief verständlich, daß auch Hegel wie Nietzsche um die Freiheit ringt, sie aber an die größte Unfreiheit bindet, die es gibt. Dazu diese sogenannte Dialektik des Hegelschen Entwicklungsgeschehens, die von der einen Erscheinung zu ihrer Gegenerscheinung fortfährt, um dann in der Harmonie der Gegensätze ihre Ruhe zu finden; sie ist nach Hegels tiefster Überzeugung der Weg von der subjektiven Freiheit zur wahren Freiheit, die erst im Staate verwirklicht wird. – Erst im Staate also wird der Mensch frei, erst dort, wo er seine individuelle Art aufgegeben hat. Wieder ist es so, daß offenbar dem Denker vielleicht unbewußt vor den letzten Folgen seiner Philosophie das Grauen aufsteigt und er es durch eine gegnerische Idee zu bekämpfen sucht, wie wir es schon bei Nietzsche gesehen haben: dieser Hegelsche Staat - er lebt mächtig und furchtbar in der gegenwärtigen Zeit - ist doch der vollendete Automatismus der Vernunft, die dem, was im persönlichen Sinne eigenartiger Geist ist, keine Freiheit läßt. Dieser schauerliche Gedanke soll uns dadurch tragbar gemacht werden, daß wir angewiesen(?) werden, den (?) Hegelschen Vernunftsstaat, das Ende der Geschichte also, gleichzusetzen mit der höchsten Freiheit, die die Persönlichkeit erreichen kann. Dieser Optimismus aber kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Freiheit in einem Vernunftsstaate erfrieren müßte. Denn dem Menschen geht es nicht bloß um die Vernunft allein, sondern um die ganze Seele, und diese kann auch in einem vollendeten Staate nicht völlig eingefangen werden. - Glücklich wird in diesem Zustande kein echter Mensch werden, vernünftig mag sein Leben geordnet sein, aber der Wanderweg der Geschichte in die Ferne läßt den Blick der Wandernden auf den sich immer weiter entfernenden Horizont richten und deshalb verlieren sie die Schau in die Höhe. Sie sehen den Himmel nicht, diese Hegelschen Wanderer, und dies macht ihr Wandern so nüchtern, freudlos und auch grausam. - Wieder ist die Glücklosigkeit das Ergebnis einer universellen Philosophie, die das Leben aufs stärkste bejaht.

Des Versteckenspielens mit der Glücklosigkeit war Schopenhauer müde; deshalb erhob er sie zum Prinzip seiner Philosophie. Wer dem Willen oder der Vernunft die Herrschaft über die Welt verleihen will, muß diese Welt als eine Wirklichkeit von großer Gewalt ansehen, denn sonst würde der willensstarke persönliche Geist oder die Weltvernunft klein und bedeutungslos vor sich selbst dastehen! Deshalb sind Nietzsche und Hegel Realisten, deshalb sind auch die Auswirkungen ihrer Lehren so realistisch, daß sie unter den groben Händen der Geistmechaniker zum Materialismus werden. Schopenhauer aber bricht dem Machttrieb und der Vernunft das Rückgrat, indem er die Welt zu einer Illusion macht, zu einer unbegreiflichen, ja widersinnigen Täuschung des Individuums. „Die Welt als Vorstellung“, wie sie Schopenhauer in seinem Hauptwerk zur Hälfte nennt, ist eine schillernde Blase aufsteigend aus dem unheimlichen Sumpf des Urwillens, der die Welt gemacht hat, ein schauerlicher Dämon, der nur deshalb das Leben gezeugt hat und weiter zeugt, um die Sinnlosigkeit seines eigenen Seins zu erweisen. Schopenhauer bezeichnet zum anderen Teil im Titel seines Hauptwerkes die Welt als Willen, aber dieser Wille ist der Gegenwille Nietzsches, denn der Schopenhauersche Wille ist unpersönlich, gierig, zerstörerisch und betrügerisch. Er ist so universell wie die Hegelsche Weltvernunft, aber auch deren Antipode; denn dieser Wille ist dunkel, dumm und entwicklungsfeindlich. Er schafft keine Geschichte, die einem großen Ziel entgegenführt, sondern, wie er sich ewig in seinem eigenen Kreise dreht, läßt er das Leben um die Dämonie seiner selbst rotieren, ein ebenso fürchterliches Bild wie die „Ewige Wiederkehr des Gleichen“. Diese irrsinnige Schaumwelt kennt nur Qualen; das Leben ist Qual an sich und Qual will verneint werden. Die Verneinung des Leides aber geschieht nicht dadurch, daß man gegen das Leid ankämpft – jeder Kampf bestätigt den Gegner – sondern daß man diesen Lebenswillen verneint, ihn austilgt, ihn zu einem Nichts macht. –

Schopenhauer, der ausgezeichnete Psychologe, wußte oder sollte wissen, daß diese Verneinung des Willens wieder nur durch den Willen möglich ist, daß also auch der verneinende Wille gegen sich selbst das Leben bejahen muß, denn auch in der Verneinung bleibt er Wille. So stellt er nun den Menschen vor eine unlösbare Aufgabe - er selbst hat nicht seiner Philosophie gemäß gelebt -, und diese Unlösbarkeit zeigt die Unmöglichkeit seiner Philosophie an, die in dem berühmt gewordenen Pessimismus seiner Lehre gipfelt. Dieser Pessimismus nun ist die Philosophie der Ausweglosen, der Hoffnungslosen geworden, aber auch die Weltanschauung jener, die zu träge sind, um etwas zu tun, und die sich in ihrer Faulheit auf den sinnlosen Schopenhauerischen Urwillen ausreden. Außerdem gibt es auch eine Lust der Verneinung und es bleibt die Frage, ob diese Lust am Pessimismus und Nihilismus nicht die gleiche Stärke hat, wie die an der Bejahung. Da aber Lust Leben anzeigt und Leben schafft, so sind die lustvollen Pessimisten wider ihrer Absicht Kronzeugen des Lebens selbst – aber nur heimlich, weil es ihrer Offenbarung widerstrebt.

Der Wahrheitssucher Schopenhauer, der es nicht ertrug, daß in anderen Weltanschauungen eine Freude, eine Glückseligkeit gelehrt wurde, die in Wahrheit Trostlosigkeit zur Folge hat, ist selbst dieser Lüge verfallen: denn er, der die Lust am Leben austilgen will, schafft gerade mit seiner Philosophie eine lustvolle Anerkennung des Lebens, die man aber nur heimlich, nur versteckt genießt. Es ist für das Vorhandensein höchster sittlicher Werte in der Welt bezeichnend, daß die Philosophen der Glücklosigkeit und der Macht – bei Nietzsche der glücklose Wille zur Macht, bei Hegel die Macht der kalten Vernunft, bei Schopenhauer die Macht des gierigen Willens zu einem sinnlosen Leben – daß diese Denker in ihrer Sittlichkeitslehre Charaktere forderten, sittliche Normen aufstellten, die keineswegs in der Kälte ihrer Weltanschauungen vereisen, sondern von der Herzenswärme genährt und gepflegt werden. Dieses erhebende Schauspiel bietet auch die Morallehre Schopenhauers, der – wieder glauben wir, aus Angst vor dem Grauen seiner eigenen Philosophie – die Liebe gebietet. Alle Menschen leiden an der Lebensqual, alle sind Kameraden des einen Schmerzes: daß sie leben und leiden müssen. Infolgedessen müßte jeder jeden im Tiefsten verstehen und jeder jedem schicksalshaft gesellt sein. Sie leiden alle miteinander, weil sie zusammen leiden, die Menschen dieser Welt, und weil sie vom Mitleiden geeint werden, ist es das Mitleid, ist es die Liebe, die sie aneinander bindet oder binden sollte. Der gute Mensch ist nach Schopenhauer jener, in dem die Erkenntnis den blinden Willensdrang bemeistert. Er versagt sich Genüsse, übernimmt Entbehrungen, um fremde Leiden zu mildern. So entsteht die reine, uneigennützige, nicht das ihre suchende Liebe und sie ist die Erkenntnis fremden Leides, das Mitleid. Das Mitleid ist nach Schopenhauers Worten „das große Mysterium, das Urphänomen und der Grenzstein der Ethik.“ – Wenn ein böser Vater einen edlen Sohn schafft, dann hat sich die Sinnlosigkeit der väterlichen Existenz in einen lebensvollen Sinn verwandelt. Wenn der dunkle Urwille das Licht menschlicher Güte hervorbringt, dann ist das Leben so wenig sinnlos wie sein Erzeuger. Schopenhauer, der seinen Blick in die Untergründe des Daseins dringen lassen will, kann das Haupt – geistig gesprochen – nicht ewig zum dunklen Schacht unserer dämonischen Existenz hin niedergebeugt halten. Der zum Aufrechtgehen geborene Mensch will und muß sein Haupt erheben, hinauf in jene Regionen, in denen er das Reine, das Wahre, das Göttliche vorhanden glaubt. Mit seiner Ethik macht Schopenhauer seine Metaphysik zunichte, denn seine Ethik lehrt edelstes Menschentum.

Drei Pferde, von denen jedes eigenster Art ist, stürmen zusammen in die Welt hinaus. Nichts scheinen sie miteinander gemein zu haben, diese Renner, nur den Wagen, an dem sie ziehen und den Lauf, den sie tun. Einer ist Feind des anderen und die Gegnerschaft macht immer zwei zu Genossen. Bald sind Nietzsche und Hegel Freunde, wenn sie beide zum Licht hin wollen, bald Nietzsche und Schopenhauer, diese Athleten des Willens, bald Hegel und Schopenhauer, diese Feinde des Nietzscheschen Individualismus. Alle drei aber ringen um Freiheit, Liebe und Menschentum - um das Sittliche im höchsten Sinne. Keinem gelingt es, die Liebe rein zu lehren; auf Umwegen, der über kahle Höhen, durch Wüsten, durch Höllen hindurchführt, kommen sie, erfroren aus Einsamkeit, vereist aus Vernunft, verbrannt aus der Hölle des Lebenswillens in das Vorgelände jener Region, wo die Liebe ist.

Ergreifend ist dieses Schauspiel menschlicher Mühe um den Sinn des Lebens: daß das, was so selbstverständlich ist, auf fürchterlichen Umwegen, die den Menschen gefährden, von ermatteten Suchern nicht gleich gefunden werden kann. Das eint sie, diese Tragödie des Menschengeistes: daß jeder Denker einen, seinen Gedanken bis zur äußersten Konsequenz durchdenkt, durchdenken will, solange, bis dieser Gedanke an seinem eigenen Widersinn zerbirst.

Was der Mensch will, ist das Bewußtsein auf ein positives Lebensrecht zu erhalten, in dem der Sinn des Daseins ruht; das Sinnvolle, dessen - wenn auch nur vermutetes - Vorhandensein Möglichkeiten der Freude schafft und das Leid organisch in den Lebensgang einbaut. Der Geist, der als Lenker die Troika treibt, weiß darum: Jeder von ihnen weiß um etwas Wahres, um etwas Großes, um etwas Wichtiges. Und vor dem inneren Blick des Menschen verschweben diese drei Rosse in ihrem rasenden Lauf zu einer Gestalt, zur Gestalt unseres Schicksalswagens, gezogen von der Kraft der Persönlichkeit, als Trägerin der Vernunft, bestimmt(?) ihre Naturanlagen zu….. (?), damit das wissende Ich(?) den Weg zum Herzen finde. - Nietzsche, Hegel, Schopenhauer – drei Meister und drei Schüler zugleich der einen reinen Wahrheit.

 

 

 

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